Warum lieben Nerds Amazonen?

Die Geburt der Heldin aus dem Geiste der Schwachheit - Ein kurzer Einblick aus eigener Erfahrung.


Nerds lieben Amazonen. Knapp bekleidete Kämpferinnen auf den Umschlägen von Fantasy-Romanen und Rollenspiel-Heften. Geheimnissvoll-überlegene Elfenköniginnen, hübsche Außenseiterinnen; von ihrer Sippe unterschätzt ziehen sie mutig in die Welt hinaus.

Na und? Was soll es damit auf sich haben? Sie sind doch jedenfalls schön anzusehen?

Lange Jahre dachte ich mir nichts dabei. Ich war selbst Nerd. Fand Heldinnen faszinierend. Träumte insgeheim davon, solch eine tolle Frau an meiner Seite zu haben. Schön und stark und geheimnisvoll.

Frauen waren während dieser Zeit überlegen. Zauberhaft-anziehende Wesen einer anderen Welt. Es war ein Geschenk und eine Gnade, von einem Mädchen auserwählt zu werden, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, vielleicht ihr Freund werden zu dürfen. Nie wäre es mir eingefallen, von mir aus mein Interesse zu bekunden – ich wollte sie nicht belästigen.

Schwäche lag all dem zugrunde. Ich war schwächlich und fühlte mich entsprechend den anderen Burschen unterlegen. Ich war schüchtern und traute mich kaum, mit Mädchen zu sprechen. Kurz, ich war in mancherlei Hinsicht mehr Frau als Mann. Entsprechend galten meine Träume Frauen, die halb Mann waren, jedenfalls in ihrem Charakter.

Als ich mehr Erfahrungen mit Frauen machte, ihre guten und ihre weniger guten Seiten kennenlernte, gleichzeitig anfing, mich körperlich zu stärken und mich allmählich als Mann zu fühlen begann, begannen mir die allgegenwärtigen Amazoninnen auf einmal aufzufallen. Und zu irritieren. Die Mädchen, die ich persönlich kennenlernte, waren ganz anders als die stolzen, muskelstrotzenden Kriegerinnen. Natürlich gab es harte Hunde unter den Frauen, aber diese hatten zugleich eine… männliche Ausstrahlung, die sie wenig attraktiv machte.

Die Verherrlichung muskulös-männlicher Frauen ist nicht die einzige Absonderlichkeit der Nerd-Kultur. Oft schon habe mich gefragt, warum gerade das Pen-and-Paper-Rollenspiel, das ich so sehr liebe, lauter Weichlinge, Feministen und Gutmenschen anzieht, kurz: Die ärgsten Mitläufer des Zeitgeistes, die eifrigsten Verfechter der Clownwelt. Sie sind nicht beherzt, nicht aufrichtig genug, einen nüchternen Blick auf die Welt zu werfen und zu sehen, was ist. Stattdessen bauen sie Luftschlösser aus guten Absichten und frommen Wünschen.

So sind denn auch ihre Fantasien seltsam unglaubwürdig - das süße Mädchen erschlägt den Erzschurken, der harmlose Nerd kriegt die begehrte Frau.

Doch so oft mich die Perversität der Nerds abstößt, so oft zieht es mich wieder zurück in ihre Welt. Ist es nur Schwäche, die mich vor den Herausforderungen des echten Lebens in Scheinwelten fliehen lässt?

Oder ist nicht eine Traumwelt denkbar, deren Besuch uns erhebt und bestärkt, deren Fantastereien und Abenteuerfahrten vielleicht überspitzt sind, die aber doch im Kern wahrhaftig sind und die Herrlichkeit unserer Welt vom Staub des Alltags und der Abstumpfung befreien?