Inneres Barbarentum

Was soll nicht alles meine Sache sein! Die gute Sache, die Sache der Gerechtigkeit, die Sache der Menschheit, die Sache meines Volkes… hinfort mit all dem Ballast!

Der Mückenschwarm

Ist es nicht schrecklich? “In Mannheim wurde ein Polizist erstochen.” “Migranten prügelten einen Abiturienten tot.” “Eine Frau wurde wegen eines Facebook-Beitrags verhaftet.” Bekannte schreiben wohldurchdachte Texte über einen Abgeordneten, der sich so oder anders über die Impfpflicht äußerte, wägen vorsichtig ab, ob wohl die AfD oder eine andere Partei Deutschland retten könnte. Zitieren sorgfältig Statistiken, wonach diese oder jene Einwanderer unser Land gefährden, belegen, dass dieser oder jene Prominente moralisch verkommen ist.

Nein, es ist nicht schrecklich. Es interessiert mich nicht. Ob es Milch oder Sahne zum Kaffee gibt ist mir wichtiger als ob diese oder jene hässliche Vogelscheuche in die Regierung gewählt wird, oder irgendwelche Wodkaliebhaber in der eurasischen Steppe Krieg führen. Nicht meine Leute, nicht mein Problem, das soll fortan meine Einstellung sein, beschloss ich vor ein paar Jahren nach der Lektüre von Jack Donovan’s Becoming a Barbarian. Wenn es Probleme gibt die meine Macht übersteigen, versuche ich sie so gut als möglich sie zu igorieren.

Fremde Sachen

Soweit die Theorie. Jedoch… ich bin kein Einsiedler. Kollegen belästigen mich mit Fragen wie “Warst du schon wählen? Nicht dass die Nazis gewinnen!”. In Telegram-Gruppen in denen ich nach Gleichgesinnten suche werden immer wieder die üblichen Hiobsbotschaften vom Untergang des Abendlandes verbreitet. In der Stadt begegnen mir die verunglückten Produkte des Regenbogenkults und am Bahnhof Unmengen an Fachkräften. Die Frau eines Freundes redet sich den Mund schaumig über die Untaten irgendeiner Partei. Und schon spüre ich wie mein Herz klopft. So viel läuft falsch in der Welt! Man müsste dies, man müsste jenes tun!

Dann machen sich Unwillen und Ekel breit. Ich habe es wieder nicht geschafft. Ich wollte mich doch ganz auf meine Sache konzentrieren, Mir geht nichts über mich!, möchte ich mit Max Stirner ausrufen, doch stattdessen landen meine Gedanken immer wieder bei Dingen, die weit außerhalb meines Einflussbereiches liegen, stattdessen lenke ich mich mit Kulturkritik und politischen Kommentaren ab. Und so werden mir Tropfen für Tropfen meiner kostbaren Lebensenergie geraubt von den zahllosen Stechmücken die von außen auf mich einschwirren.

Die Schwachstelle

Ich muss einsehen: Es ist unmöglich, sich völlig abzukapseln, es werden stets Mücken in der Luft sein. Was ich brauche, ist eine Elefantenhaut, die das Getier nicht zu durchstoßen vermag. Absichtliches Desinteresse, wie ich es bisher versucht habe, scheint nicht auszureichen. Um nicht von den glitzernden Ablenkungen verführt zu werden, braucht es etwas, das heller scheint.

Und wirklich: Wenn ich voll und ganz bei der Sache bin, dann gibt es keine Ablenkung. Ich lasse mich immer dann in zermürbende Ablenkungen hineinziehen, wenn ich gelangweilt bin, wenn ich eigentlich auf der Suche nach neuer Inspiration bin, wenn ich gerade für nichts anderes brenne, wenn ich gestresst oder erschöpft bin. Es tut also Not, die innere Begeisterung für eigene Interessen anzufachen. Ich will meine Lebensenergie für meine Sachen aufwenden und nicht auf die Probleme fremder Leute verschwenden!

Barbar werden

Doch was, wenn man doch von Langeweile und Trägheit angefallen wird? Wie legt man im Alltag fremde Einflussnahmen ab und fokussiert seine Kraft auf sich? Aus dem Sammelsurium an Versuchen, die ich schon unternahm, möchte ich ein paar vielversprechende herausgreifen und zur Nachahmung empfehlen.

Verhalte dich wie ein Barbar. Nie ist es mir ferner, mich mit fremden Sorgen herumzuschlagen, als wenn ich in der Natur unterwegs bin, mit nacktem Oberkörper durch die Landschaft wandere, einen Fluss durchschwimme, mit der Steinschleuder einen Fasan belauere, oder im Überschwang der ersten Frühjahrssonne in den Wald brülle und Steine schleudere.

Werde fremde Gedanken los. Manchmal überfresse ich mich regelrecht an fremdem Gedankengut. Das nistet sich dann ein und raubt mir den Fokus. Um es wieder los zu werden, ohne damit Freundin, Freunde oder Familie zu sehr zu belästigen, schreibe ich es mir von der Seele spreche es als Sprachaufnahme in mein Handy. Mehr zu diesem Thema findet sich im Kapitel Reflektiere und Regeneriere in Max Reinhards Odin, Nietzsche und der Pfad zur linken Hand.

Erschaffe eigenes. Irgendwann kam der Punkt, an dem mich das, was ich zur Ablenkung konsumierte, nur noch langweilte. Es wurde mir klar, dass ich eigenes erschaffen muss. Meine eigenen Texte schreiben, meine eigenen Geschichten erzählen, meine eigenen Gedanken in der Welt realisieren. Kommen dann wieder schwache Stunden, in denen ich mich nach Ablenkung, Aufheiterung oder Inspiration sehne, kann ich allmählich auf mehr eigenes zurück greifen, bin nicht allein auf fremde Gedanken angewiesen um wieder ins rechte Fahrwasser zu kommen.